
Schamgefühle
Schimpfwörter, fliegende Türen, Rückzug im eigenen Zimmer oder in sich selbst…
Viele Eltern beobachten solche Verhaltensweisen bei ihren Kindern oder Jugendlichen. Doch warum ist das so? Was macht zwischenmenschliche Beziehungen oft so kompliziert? Warum tut das, was wir in Konflikten fühlen, so weh – und welches Gefühl ist das überhaupt?
Als ich begann, mich intensiver mit diesen Fragen zu beschäftigen, stieß ich eher zufällig auf ein Thema, über das wir selten sprechen – manche nennen es sogar ein Tabu: Scham. Dieses Gefühl geht weit über ein „Mir ist etwas peinlich“ hinaus. Wir alle kennen Scham – wir erröten oder wünschen uns ein Loch zum Verschwinden. Doch Scham geht tiefer.
Während Schuld bedeutet: „Ich habe einen Fehler gemacht“, sagt Scham: „Ich bin ein Fehler.“ Sie betrifft unser Selbstwertgefühl, lässt uns glauben, nicht wertvoll, nicht zugehörig, nicht liebenswert zu sein. Chronische oder intensive Scham kann schwerwiegende psychische oder psychosomatische Folgen haben.
Scham ist ein soziales Gefühl – sie entsteht im Kontakt mit anderen. Und genau hier kann sie zerstörerisch wirken. Menschen reagieren meist in zwei Richtungen:
Entweder sie ziehen sich zurück – verlassen den Raum, ghosten, blockieren – symbolisch oder real schlagen sie die Tür zu.
Oder sie wenden sich nach außen – mit Wut, Beschimpfungen, Demütigungen oder sogar körperlicher Gewalt.
Wir haben selten gelernt, mit Scham so umzugehen, dass sie unsere Beziehungen nicht belastet. Dabei bräuchten wir gerade in schwierigen Momenten Nähe und Verbindung. Doch das automatische Verhalten von „Flucht oder Kampf“ schützt uns kurzfristig, gefährdet aber langfristig unsere sozialen Bindungen. Es fehlt an Empathie – für andere und für uns selbst.
- An welche Erfahrungen großer Scham in deinem Leben erinnerst du dich?
- Wann empfindest du in deinem Leben Scham?
- Wann beobachtest du Scham in deinen Beziehungen?
- Was sind deine Auslöser für Schamgefühle?
Quellen:
Larsson, L. (2023). Wut, Schuld & Scham. Drei Seiten der gleichen Medaille. Paderborn: Junfermann.
Marks, S. (2021): Scham. Die tabuisierte Emotion. Düsseldorf: Patmos.
Weinblatt, U. (2016). Die Nähe ist ganz nah! Scham und Verletzungen in Beziehungen überwinden. Göttingen: Vandenhoek & Rupprech